Die in manchen Ländern gestiegene Beteiligung bei der EU-Wahl hat sich vielfach nicht in höheren Prozentzahlen zugunsten von links-progressiven Parteien niedergeschlagen. Das sei überraschend, erklärte Europaexperte Andreas Maurer, der einen Jean-Monnet-Lehrstuhl an der Universität Innsbruck inne hat, im Gespräch mit der APA. Die Wahlforschung würde davon ausgehen, dass bei höherer Wahlbeteiligung eher das linke Lager zulegt.
"Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, wo sich die gestiegene Wahlbeteiligung in besseren Ergebnissen für rechtsnationale und rechtsradikale Parteien niederschlagen hat. Da wurde offensichtlich ein Wählerreservoir abgeschöpft, das normalerweise nicht wählt", so Maurer unter Verweis auf Deutschland oder Frankreich. Als Erklärung für den starken Zugewinn der Rechten in Ländern, in denen nicht davon ausgegangen worden sei, führt der Politologe den Ukraine-Konflikt an.
Viele rechtsnationale Parteien würden denjenigen eine Stimme geben, die eine Russland-freundliche Einstellung hätten und für die das Spektrum links bis zur Mitte deshalb nicht mehr wählbar sei. "Das müssen nicht unbedingt Wählerinnen oder Wähler sein, die die rechtsnationalen Parteien aufgrund ihres Migrationskurses wählen", sagte Maurer, der sich wundert, "dass in den Wählerwanderungsanalysen nicht danach gefragt wird, ob die Wahlentscheidung etwas damit zu tun hat, wie die jeweilige Partei zum Russland-Ukraine-Konflikt steht".
Er warnt zudem vor einer schnellen Einteilung in Gewinner und Verlierer der EU-Wahl. Neben den Fraktionslosen gebe es nun auch rund 50 neue Abgeordnete, die noch keiner der gegenwärtigen Parteifamilien oder Parteibündnissen zugeordnet seien. "Wir sprechen da letztendlich von mehr als 90 Personen, die sich dem einen oder anderen Lager anschließen könnten", so der Experte, der davon ausgeht, dass die Neuzugänge am ehesten in kleinere Fraktionen wandern.
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