18.2.2020, 11:23 Uhr

Ist weniger mehr? Grenzenloser Wachstum versus freiwilliger Verzicht

Bild

Asketisch aber dennoch wortreich ging es bei einem Science Talk des Bildungsministeriums in Wien zum Thema "(Freiwilliger) Verzicht: Notwendigkeit oder Luxus" zu. Dass das Wort 'Verzicht' negativ behaftet ist, darüber sind sich die Experten einig. Stattdessen müsse von "Veränderung" gesprochen werden.

Über Pleonexie, also Habsucht, führe kein Weg zum Glück, das sei schon den antiken Hedonisten bewusst gewesen, erinnerte Hans Schelkshorn vom Institut für Christliche Philosophie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Die Theorie der grenzenlosen Ökonomie, in der davon ausgegangen wird, dass die Schätze der Natur endlos und deshalb Wachstum immer weiter möglich sei, wurde bereits von Aristoteles als unmöglich zurückgewiesen. Dennoch baue unsere heutige Einstellung auf diesem Prinzip auf: "Wir hoffen noch immer auf verborgene Schätze der Natur, statt uns eine Frage der Einschränkung zu stellen."

"Wir leben auf Kosten anderer derzeit und zukünftig lebender Generationen", verwies Christoph Görg, Leiter des Instituts für soziale Ökonomie an der Universität für Bodenkultur (BOKU), auf die Grenzen, die der Planet dem scheinbar unumgänglichen Wachstumszwang auferlegt. Für die ökologische Krise, in der sich die Menschheit derzeit befindet, sei Verzicht oder Askese aber keine Lösung. Um die Krise abzuwenden, müsse es strukturelle Änderungen geben, statt nur eine Anpassung des individuellen Konsumverhaltens.

Verzicht ist schwierig - aber gut

Die Ideologie, dass "immer mehr" auch "immer besser" ist, sei bereits seit dem Ende des zweiten Weltkrieges mit dem Aufkommen der ersten Supermärkte in den 50er-Jahren in den Köpfen verankert, erklärte Gabriele Sorgo vom Institut für Bildungswissenschaften und Forschung der Pädagogischen Hochschule Salzburg. Die Angst vor Verzicht sei von klein auf anerzogen, weshalb eine Veränderung der Denkweise nicht so leicht zu bewerkstelligen sei.

Dabei sei Verzicht eigentlich etwas Positives, betonte sie. Selbstbeschränkung sei die Grundlage für ein soziales Zusammenleben und somit Überlebensgrundlage sowie Grundlage des Glücks. "Verzicht ist die Möglichkeit, mir einen Freiraum zu schaffen, wo ich entscheiden kann: Brauche ich etwas oder nicht? Diese Freiräume werden durch Verzicht überhaupt erst möglich." Gleichzeitig entstünden über den Vergleich mit Anderen Mangelgefühle. "Wer kauft, sucht sein Glück statt im Sozialen im Materiellen. Wirklich glücklich macht uns aber das soziale Leben. Kaviar zu essen, macht nicht glücklich, wenn ich ihn alleine esse", so die Wissenschafterin.

Verzicht ist also gut - und überraschenderweise "ein Kernelement des Kapitalismus", brachte Arnd Florack, Psychologe der Universität Wien, als Beispiel ein Unternehmen, das nicht im erarbeiteten Reichtum schwelgt, sondern weiter investiert. Wieso fällt der Verzicht dann trotzdem so schwer? Vor die Wahl gestellt, mehr zu arbeiten und zu verdienen oder weniger zu arbeiten und dementsprechend weniger Geld aber auch mehr Freizeit zu haben, entscheide sich die Hälfte für die Freizeit, verweist Florack auf bestehende Studien. Wenn man den Personen aber zuerst das Geld gebe, und sie dann frage, ob sie zugunsten der Freizeit darauf verzichten würden, sehe das Ganze anders aus. Verzicht löse Verlustaversion aus, weiß Florack. "Gleichzeitig signalisiert Verzicht, dass das, worauf wir verzichten, unglaublich wichtig ist."

"Wir halten an dem Glauben fest, dass Wachstum die Lösung für unsere Probleme ist", so Görg, aber dieses Wachstumsdenken müssten die Industrieländer aufgeben. Das stelle uns aber vor ein großes persönliches Problem, erklärte Schelkshorn, denn das Zivilisationsmodell, das von Seite der westlichen Welt seit dem 18. Jahrhundert allen anderen Kulturen der Erde angepriesen werde, funktioniere dann nicht mehr, was einer Niederlage gleichkäme.

Keine private Angelegenheit mehr

Bisher wurde Verzicht (beispielsweise auf Fleisch oder Flugreisen) als eine private Frage der Moral angesehen. Das treffe nicht mehr zu, betonte Schelkshorn. "Die Freiheit des Einen findet an der Freiheit des Anderen seine Grenzen. Es ist nicht mehr meine private Angelegenheit, wie ich meine Reisen mache oder welche Produkte ich esse", so Schelkshorn mit Hinblick auf den Klimawandel.

Dieses Umfeld, auf das es Rücksicht zu nehmen gilt, das sei nicht nur der Mitmensch, sind sich die Experten einig, sondern Tiere und Pflanzen gleichermaßen. Dafür benötige es eine Bewusstseinsänderung - und das vor allem bei den Jungen, die noch offener für Neues und weniger festgefahren in ihren Denkweisen seien, so Florack. Auch Sorgo ist sicher: Wenn Kinder von klein auf mit viel mehr Natur- und Tierkontakten aufwüchsen und lernten, dass wir in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stünden, würde es einen Bewusstseinswandel geben.

APA/red Foto: APA/Christopher Dunker