26.11.2018, 11:05 Uhr

Nach dem Waldsterben kommt das Baumsterben

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Seit einiger Zeit häufen sich Meldungen über tote Bäume in den Wäldern Mitteleuropas. Tatsächlich hat sich die Waldfläche mit toten Bäumen in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt, berichten Wiener und Berliner Forscher im Fachjournal "Nature Communications". Aktuell sterben demnach jährlich 3.000 Quadratkilometer Wald in Mitteleuropa. Das Paradoxe daran: Die Zahl sterbender Bäume ändert sich kaum.

Vor allem durch Luftschadstoffe kam es ab den 1980er-Jahren zu einer massiven Schädigung des Waldes in Mittel- und Osteuropa, wobei die Verbrennung von schwefelhaltigen fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Erdölprodukte als Hauptursache ausgemacht wurde. Als Konsequenz dieses sogenannten "Waldsterbens" kam es zu einer starken Reduktion von Luftschadstoffen, speziell von Schwefelverbindungen, und in Folge zu einer deutlichen Entlastung der Wälder.

In den vergangenen Jahren gibt es allerdings wieder vermehrt Meldungen über sterbende Bäume. Steigende Temperaturen, Trockenheit, Stürme, Borkenkäfer oder das Eschensterben werden als Ursachen dafür genannt. Eine Forschergruppe um Rupert Seidl vom Institut für Waldbau der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien und Cornelius Senf von der Humboldt-Universität zu Berlin hat anhand von 720.000 Satellitenbildern untersucht, ob es tatsächlich ein neues Baumsterben gibt.

Die manuelle Interpretation der Satellitenbilder von 24.000 Orten in Österreich, Deutschland, Polen, Tschechien, der Slowakei und der Schweiz zeigte, "dass aktuell Wald auf einer Fläche von jährlich 3.000 Quadratkilometern stirbt, das ist immerhin die Fläche Vorarlbergs und Wiens zusammen", sagte Seidl gegenüber der APA. Konkret erfassen die Wissenschafter mit ihrer Methode, auf welcher Fläche das Kronendach des Waldes verschwindet.

Mortalität verdoppelt

War 1985 im Schnitt noch eines halbes Prozent der Waldfläche vom Baumsterben betroffen, war es 2015 bereits ein Prozent pro Jahr. "Das heißt, dass sich die Mortalität in Mitteleuropas Wäldern in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt hat und damit die aktuelle Welle der Baummortalität jene des Waldsterbens vor 30 Jahren deutlich übersteigt", erklärte Seidl.

Österreich weist dabei gemeinsam mit Tschechien die höchste Mortalitätsrate der sechs untersuchten Länder auf - jeweils 1,17 Prozent der Waldfläche pro Jahr waren in den beiden Ländern in den vergangenen 30 Jahren vom Baumsterben betroffen. In Polen und der Schweiz ist es nur etwa die Hälfte.

Die Wissenschafter nannten vielfältige Gründe für die Entwicklung: Sie führen etwa klimatische Extreme an, die in den vergangenen Jahren dem Wald zusetzten. "Winterstürme und Borkenkäfer, welche sich durch die warmen und trockenen Bedingungen rasch vermehren, verursachen großflächige Baummortalität", wurde Senf in einer Aussendung zitiert.

Doch auch die menschliche Nutzung des Waldes in Mitteleuropa hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Gleichzeitig ist laut Studie die Waldbewirtschaftung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich schonender geworden. "Unsere Daten zeigen eine Verschiebung von großflächigen Kahlschlägen hin zu einer kleinflächigen Öffnungen des Kronendachs", so Seidl.

Größere Lücken im Kronendach

Die Daten offenbarten auch eine paradox anmutende Entwicklung: Im Gegensatz zur zunehmenden Baummortalität änderte sich die Anzahl der sterbenden Bäume in Mitteleuropa in den vergangenen 30 Jahren kaum. "Heute sterben tendenziell ältere und größere Bäume als in der Vergangenheit und das hinterlässt im Kronendach des Waldes größere Lücken", sagte Seidl.

Die Schwierigkeit sei also, welches Maß man heranziehe. "Wenn man nur die Zahl der sterbenden Bäume betrachtet, bleibt diese relativ konstant. Wir haben uns jedoch in unserer Studie die vom Baumsterben betroffene Fläche angeschaut, und da sieht man einen ganz starken Trend."

Er will deshalb auch nicht von einem neuen "Waldsterben" sprechen. "Der Wald stirbt nicht, nur weil große Bäume sterben." Viele Studien würden zeigen, dass sich der Wald in Mitteleuropa nach dem Absterben von Bäumen wieder gut verjüngt. Besorgniserregend würde Seidl die Studienergebnisse deshalb nicht bezeichnen, "man muss die Entwicklung aber im Auge behalten, da geänderte Waldstrukturen auch Auswirkungen auf die im Wald lebenden Arten und die vom Wald für die Gesellschaft erbrachten Leistungen haben".

Service: http://dx.doi.org/10.1038/s41467-018-07539-6

APA/red Foto: APA/APA (dpa)

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