18.5.2020, 09:23 Uhr

Coronakrise und Verschwörungsglaube: Wie gefährliche Allianz entsteht

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Corona-Fehlinformationen sind in diesen Tagen ein globales Problem. Laut einem Forscherteam um Heidi Oi-Yee Li von der University of Ottawa enthalten mehr als ein Viertel der meistgeschauten englischsprachigen Covid-19-Videos auf Youtube irreführende Angaben. Sie wurden mehr als 62 Millionen Mal angeklickt, berichten die Forscher nach der Analyse von 69 Videos im Fachmagazin "BMJ Global Health".

Eines der Youtube-Videos, das in der Coronakrise im deutschsprachigen Raum am bekanntesten geworden ist, dauert 30 Minuten und 29 Sekunden. Es trägt den Titel "Gates kapert Deutschland" und handelt davon, wie der US-Multimilliardär Bill Gates angeblich, nun ja, Deutschland kapert. Genauer gesagt: Der einst nach Antisemitismusvorwürfen vom RBB entlassene Journalist Ken Jebsen erklärt in dem Video, Gates habe die Weltgesundheitsorganisation "gekauft", bestimme dadurch maßgeblich die Gesundheitsmaßnahmen weltweit und denke darüber nach, Menschen im Rahmen von Impfungen gezielt zu sterilisieren. Faktenchecker haben viele von den Aussagen in Jebsens Beitrag, den bisher mehr als drei Millionen Menschen angeklickt haben, bereits komplett oder teilweise widerlegt.

Krisen sind ein besonders guter Nährboden für Verschwörungstheorien, sagte Bernd Harder von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Menschen suchten hinter großen Ereignissen gerne große Ursachen: "Selbiges erleben wir jetzt, wo ein winziges, unsichtbares und im wahrsten Sinne des Wortes 'unfassbares' Virus die Welt in Atem hält", erklärte er. "Das kann man sich kaum vorstellen, also muss etwas Greifbares dahinterstecken - etwa eine höhere Macht, die dieses Virus im Labor gezüchtet und losgelassen hat, um damit ganz bestimmte Ziele zu erreichen."

Verschwörungserzählungen "strukturieren die Welt"

Menschen fühlten sich in Zeiten tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche mitunter unsicher und machtlos, sagte die Sozialpsychologin Pia Lamberty von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Verschwörungserzählungen sprechen genau diese Gefühle an: Die Verschwörungserzählung strukturiert die Welt. Es gibt die bösen Verschwörer und die, die scheinbar die Wahrheit sehen; die Welt wird begreifbarer."

Bei genauerem Hinsehen ließen sich Verschwörungstheoretiker recht eindeutig von Menschen unterscheiden, die bestimmte Sachverhalte - etwa die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung - kritisch hinterfragten, sagte Harder: "Wenn im Grunde gar nicht mehr gefragt wird, sondern bereits feststeht, dass wir belogen werden, dass ein gigantisches Komplott umgesetzt wird, dass Bill Gates uns alle chippen will, dass eine Merkel-Diktatur errichtet werden soll, dass ein Impfzwang eingeführt werden soll - dann ist es keine Kritik mehr, sondern eine Verschwörungstheorie."

Menschen mit starker Verschwörungsmentalität machten in der Glaubwürdigkeitsbeurteilung keinen Unterschied zwischen Experten und Laien, ergänzte Lamberty. Außerdem tendierten sie dazu, Erzählungen dann Glauben zu schenken, wenn sie von einer kleinen Gruppe vorgetragen würden - und nicht von der Mehrheit.

Expertenwissen wird oft als "uneindeutig" wahrgenommen

Hinzu kommt laut Harder, dass das Expertenwissen derzeit oft als "uneindeutig und widersprüchlich" wahrgenommen werde. "Dass es in so einer komplexen neuen Situation mit zahllosen Einzelinteressen und Abwägungen keine eindeutigen politischen und medizinischen Antworten geben kann, ist für viele schwer auszuhalten, weil alle natürlich wissen möchten, wo es langgeht." Verschwörungstheoretiker seien da mit ihren falschen, aber oft eindeutigen und verständlichen Behauptungen klar im Vorteil.

In mehreren deutschen Städten trafen sich in den vergangenen Tagen erneut Menschen zu sogenannten Hygiene-Demonstrationen. Diese Gruppen seien sehr heterogen, betonte der Politologe Tom Mannewitz von der TU Chemnitz. Verschwörungstheoretiker seien zwar darunter, aber auch Rechtspopulisten, Antidemokraten - und Menschen der bürgerlichen Mitte. "Der kleinste gemeinsame Nenner ist wohl, dass sie gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung sind."

Mannewitz betonte, dass die Gruppe der Demonstranten zwar momentan sehr laut, aber auch verhältnismäßig klein sei. Er erwarte zwar, dass der Zuspruch zu den Regierungsmaßnahmen, der momentan sehr hoch sei, weiter abnehmen werde, sagte Mannewitz. "Aber momentan sind wir jenseits davon, dass wir sagen könnten, hier wäre eine massive gesellschaftliche Spaltung."

Service: Correctiv-Faktencheck zu Jebsen: http://dpaq.de/QWJkH

Von Hannah Wagner/dpa

APA/red Foto: APA/APA (dpa)

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