Gemeinhin gelten die lichtlosen Tiefen der Weltmeere als geheimnisvoll und weitgehend unbekannt. Deutsche und österreichische Forscher widmen sich nun einer riesigen Meereszone, die - obwohl dem Menschen viel näher - ein ebenso wenig erforschter Bereich ist: In einem Vier-Millionen-Euro-Projekt wollen sie die "Haut" der Ozeane untersuchen, jene nicht einmal ein Millimeter dünne oberste Wasserschicht, in der komplexe biologische, chemische und physikalische Prozesse ablaufen.
Das von Oliver Wurl vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg geleitete Projekt BASS (Biogeochemical processes and Air-sea exchange in the Sea-Surface microlayer) ist auf das Zusammenspiel von Biologie, Chemie und Physik in der Wasseroberfläche fokussiert. Für die Forscher ist diese Schicht ein biogeochemischer Reaktor, wo aufgrund der besonderen Bedingungen ungewöhnliche Substanzen entstehen können. Zudem werden dort Gase und Energie zwischen Wasser und Atmosphäre ausgetauscht.
"Haut" kontrolliert, was rein oder raus geht
"Man kann sich diese Oberfläche wie den Bodyguard des Meeres vorstellen - da wird kontrolliert, was rein oder was raus geht", erklärte Thomas Reinthaler vom Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Universität Wien gegenüber der APA. Er konzentriert sich in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt auf die Untersuchung der Bakterien in der rund einen Mikrometer bis 500 Mikrometer dünnen Schicht.
Zu deren Bewohnern zählen neben Bakterien auch Algen und mikroskopisch kleine Tiere (Zooplankton). Die Lebensbedingungen dort sind hart angesichts hoher UV-Strahlung sowie starker Schwankungen der Salzkonzentration des Wassers und der Temperatur.
Oft bildet sich an der Meeresoberfläche ein dünner, gelartiger Biofilm aus, der eine komplexe Mischung organischer Substanzen enthält. Dort reichern sich u.a. verschiedene Zucker, Eiweiße und Fettverbindungen an, die aufgrund der starken Sonneneinstrahlung auf besondere Weise miteinander reagieren. "Durch kleinskalige Verwirbelungen gelangen diese Moleküle in tiefere Wasserschichten, wo sie in verschiedene Stoffkreisläufe eingeschleust werden und wichtige Funktionen übernehmen", erklärte Wurl in einer Aussendung.
Mikroschicht hat Einfluss auf das Klima
Die Mikroschicht unterscheide sich deutlich von allen anderen Bereichen des Meeres und habe aufgrund ihrer besonderen Lage einen Einfluss auf das globale Klima. "Vor allem Bakterien können aufgrund ihrer großen Zahl den globalen Kohlenstoffkreislauf sehr stark beeinflussen", betonte Reinthaler.
Die Mikroben nehmen Kohlenstoff auf. Einen Teil davon bauen sie ein, den Großteil veratmen sie aber und geben ihn als CO2 wieder ab. "Wenn der Stress an der Oberfläche zunimmt, etwa durch stärkere UV-Strahlung, gegen die Bakterien keine Schutzmechanismen haben, atmen sie mehr und geben mehr CO2 in die Atmosphäre ab. Im Zuge des Projekts wollen wir herausfinden, wie gestresst bzw. wie angepasst die Bakterien sind", so der Wissenschafter.
Mit Forschungsschiffen unterwegs
Um die Oberflächenschicht zu untersuchen, wird das Forscherteam eine dreiwöchige Messkampagne mit zwei Forschungsschiffen im Sommer 2024 in der Nordsee in der Nähe von Helgoland durchführen. Zum Einsatz kommen dabei ein autonomer Forschungskatamaran sowie Treibbojen für verschiedene Messungen. Vor allem die Probenentnahme werde dadurch sehr erleichtert, betonte Reinthaler. Eine erste Vorkampagne finde bereits heuer im September statt, "da wollen wir testen, wie das ganze technisch funktioniert".
Zudem werden die Forscher in der "Sea Surface Facility" des ICBM - ein 10.000-Liter-Becken, das mit Wasser aus der Nordsee befüllt werden kann - die Oberflächenschicht unter kontrollierten Bedingungen simulieren. Es sollen auch verschiedene, typischerweise in der obersten Wasserschicht lebende Mikroben kultiviert und untersucht werden, welche Stoffe diese Organismen absondern. Weitere Teilprojekte befassen sich etwa mit chemischen Reaktionen in der Grenzschicht und dem Einfluss des Sonnenlichts sowie mit dem Austausch von Energie und Spurengasen zwischen Atmosphäre und Ozean.
APA/red Foto: APA/APA/dpa/Daniel Bockwoldt
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