Der Österreichische Biodiversitätsrat spricht sich dafür aus, die Biodiversitäts- und Klimakrise mit der gleichen Vehemenz zu bekämpfen wie die Covid-19-Pandemie. Die von der Regierung geplanten Maßnahmen für den Erhalt der Biodiversität in Österreich müssten auch unter der Corona-bedingten Budgetsituation ambitioniert umgesetzt werden, forderte das Expertengremium.
Der aus 22 Experten bestehende Biodiversitätsrat mahnt die Regierung, bei der Bewältigung der Coronakrise andere wichtige gesellschaftliche Herausforderungen nicht aus dem Blick zu verlieren. Es sollte vielmehr die Chance genutzt werden, diese in ein nachhaltiges Krisenmanagement einzubeziehen. "Durch die Coronakrise werden viele Fragen ganz neu gestellt. Die Antworten darauf werden in den nächsten Jahren die Leitplanken sein, wie sich die österreichische Gesellschaft und Wirtschaft weiterentwickeln. Diese Chancen müssen genutzt werden, um Corona und Umweltkrise gemeinsam zu bekämpfen", erklärte Franz Essl, Biodiversitätsforscher an der Universität Wien bei einer Pressekonferenz.
Abnehmende biologische Vielfalt
Der sich ungebremst verschlechternde Zustand der biologischen Vielfalt ist für das Expertengremium ein "Alarmzeichen". Der Artenrückgang führe zu massiven Risiken für unser Wohlergehen und unsere Gesundheit. Deshalb fordert der Biodiversitätsrat die Politik auf, die Bekämpfung der Corona-Krise zum Anlass zu nehmen, eine ökologische und gesellschaftliche Transformation einzuleiten.
Für die Politikwissenschafterin Alice Vadrot von der Uni Wien zeigt die Corona-Krise, "dass die Bevölkerung bereit ist, ihr Verhalten in Anbetracht von Bedrohungen zu ändern". Es gehe jetzt ein wichtiges Fenster dafür auf, "Umweltpolitik neu zu denken und die Versäumnisse aus der Vergangenheit anzusprechen und zu verändern". Es gebe auch in der Bevölkerung einen sehr starken Wunsch dahin gehend, diesen Moment zu nutzen, um Dinge neu zu gestalten.
Die türkis-grüne Regierung und ihr Programm hätten die Mitglieder des Biodiversitätsrats "sehr optimistisch gestimmt", würden sich doch wichtige Maßnahmen im Regierungsprogramm finden. "Aber die aktuellen Budgetverhandlungen in den vergangenen Wochen lassen uns dann doch wieder einen skeptischen Blick auf die aktuellen Entwicklungen einnehmen", sagte Vadrot. So soll etwa der geplante Biodiversitätsfonds erst im nächsten Jahr eingerichtet und finanziert werden und viele umweltschädliche Subventionen, etwa Anreize für individuellen Wohnbau oder individuelle Mobilität, seien immer noch zehn Mal höher als das gesamte Umweltbudget. "Aktuell haben die Maßnahmen noch nicht den Rahmen, den sie haben müssten, um tatsächlich einen Beitrag zum Stopp des Biodiversitätsverlustes einzunehmen", so Vadrot.
Ganzheitliche Herangehensweise nötig
Während es bei den Antworten auf die Klimakrise viel um technologische Lösungsansätze gehe, stehe man bei der Biodiversitätskrise einem riesigen komplexen Ökosystem mit komplizierten Interaktionen gegenüber. "Das erfordert wesentlich ganzheitlichere Herangehensweisen und eine vielschichtigere Reaktion der Politik, nicht nur rein technologische Herangehensweise an das Problem", so Christian Sturmbauer von der Uni Graz.
Aus Sicht der Experten müssten "neue Maßstäbe gesetzt und neue politische Perspektiven entwickelt werden". Diese neuen Perspektiven betreffen u.a. Landverbrauch und -nutzung, Wirtschafts- und Steuersystem, Bildung und den Wert der Natur. Zu den Forderungen des Biodiversitätsrats zählen etwa eine flächendeckende ökologische Infrastruktur mit mindestens zehn Prozent Vorrangflächen für die Natur, eine sozial-ökologische Steuerreform mit dem Ziel, Klima- und Biodiversitätsschutz gemeinsam und gleichrangig zu fördern, die Einrichtung eines mit einer Mrd. Euro dotierten nationalen Biodiversitätsfonds, ein besseres Lehrangebot an den Schulen und Universitäten, das ein Verständnis der Zusammenhänge zwischen Ökologie und Wirtschaft steigert und der Ausbau der Biodiversitätsforschung. Zudem müsste der ökologische Wert der Natur auch ökonomisch bewertet und in gesellschaftlichen Abwägungsentscheidungen berücksichtigt werden, ohne ihren intrinsischen Wert zu vernachlässigen.
Für die Experten zeigt sich, dass "Staaten und Organisationen, die proaktiv und frühzeitig auf die Pandemie reagieren, am besten durch die Krise gehen". Eine wichtige Lehre daraus müsse sein, auch in der Umweltkrise nicht zuzuwarten, sondern zu handeln. Österreich sei jedenfalls "jetzt auch zur Einleitung des Transformationsprozesses hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft bereit".
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