In Österreich hängt der Bildungserfolg immer noch stark von der Herkunft ab. Seit Jahren macht die Arbeiterkammer (AK) deshalb Druck für einen "Chancenindex", über den Schulen mit besonders vielen Kindern und Jugendlichen mit Förderbedarf mehr Mittel bekommen. Vorbild könnte das deutsche "Starchancen-Programm" sein, für das Bund und Länder in den nächsten zehn Jahren gemeinsam 20 Mrd. Euro in die Hand nehmen. Am Donnerstag wurde es bei einer AK-Tagung in Wien vorgestellt.
Es werde Österreich "um die Ohren fliegen", wenn man die Vererbung von Bildungsarmut weiter hinnehme, warnte AK-Wien-Bildungsexpertin Elke Larcher. Immerhin sei das auch eine entscheidende Frage für den Wirtschaftsstandort. Mit der aktuellen Lage kann man aus Sicht von AK-Bildungsexperten jedenfalls nicht zufrieden sein: Bei den Bildungsstandard-Erhebungen hatten etwa Kinder von Eltern aus bildungsfernen Elternhäusern bzw. nicht-deutscher Erstsprache einen Lernrückstand von einem bis mehreren Jahren. Die Trennung der Kinder mit zehn Jahren in AHS-Unterstufe und Mittelschule führt zudem dazu, dass es Standorte mit besonders vielen Kinder aus bildungsfernen Familien gibt.
Gegen Bildungsvererbung
Die Zusammensetzung der Schülerschaft an einem Standort hat bei Jugendlichen mit ähnlichen Startbedingungen jedoch signifikante Auswirkungen darauf, ob sie ihre Bildungslaufbahn vorzeitig abbrechen oder es bis zur Matura schaffen. Das zeigt eine Analyse des Werdegangs von 85.000 Schülern der Schuleintrittskohorte 2006/07 durch Claudia Reiter und Mario Steiner vom Institut für Höhere Studien (IHS). Schüler mit benachteiligendem Hintergrund profitieren dabei tendenziell mehr, wenn sie eine Schule mit besserer sozialer Zusammensetzung besuchen. Auf Schüler aus bildungsnahem Elternhaus hat wiederum der Besuch einer Schule mit vielen benachteiligten Schülern geringeren Einfluss.
"Chancenindex" als Chance
Die AK wirbt schon seit Langem für die Einführung eines "Chancenindex", über den Schulen zusätzliche Mittel bekommen, wenn viele Kinder Eltern mit geringem Bildungsniveau haben oder eine andere Erstsprache als Deutsch sprechen. Das Modell sieht sieben Stufen vor, am höchsten ist der Zuschlag für Kinder, bei denen beide Eltern nur einen Pflichtschulabschluss haben und deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Das Geld ist dabei nicht für den Einkauf etwa von technischem Equipment gedacht, sondern für strukturelle Veränderungen etwa durch Fortbildungen, Coachings oder den Einsatz multiprofessioneller Teams. Die gesetzlichen Voraussetzungen wären schon da, auch Pilotprojekte in Wien und auf Bundesebene laufen bereits.
Deutschland als Vorreiter
In Deutschland, wo man ebenfalls mit dem Problem der Bildungsvererbung kämpft, ist man unterdessen schon einen Schritt weiter: Seit August läuft dort das "Startchancen-Programm" - ein "Mammutvorhaben", das für eine "wahnsinnige Aufbruchsstimmung" sorge, wie Anne Keilig, Programmleiterin im deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung, berichtete. "Der Handlungsdruck ist so groß, dass alle bereit sind zu kämpfen und auch die eine oder andere Animosität zurückzustellen."
Gestartet wurde mit rund 2.100 Standorten, der Großteil Volksschulen. Im Endausbau soll es für 4.000 Schulen abhängig von der Armutsgefährdungsquote und dem Migrationshintergrund ihrer Schüler zusätzliches Budget geben, das ist ein Zehntel aller Schulen mit insgesamt einer Million Schülerinnen und Schüler.
Mit dem eng wissenschaftlich begleiteten Programm wolle man weg von der bisherigen Gießkannenförderung der Schulen, betonte Keilig. Durch eine zeitgemäße Lernumgebung soll eine neue Art der Pädagogik ermöglicht werden, ein Gutteil des Budgets ist für Maßnahmen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung vorgesehen, deren Nutzen bereits wissenschaftlich erwiesen ist. Eine wichtige Säule ist auch die Einbindung von Teams aus Sozialpädagogen, Schulsozialarbeitern oder pädagogischen Fachkräften anderer Disziplinen. Die Ziele des Programms sind hoch gesteckt: Innerhalb von zehn Jahren soll dadurch die Zahl der Risikoschüler in Deutsch und Mathematik halbiert und gleichzeitig die sozialen Kompetenzen gestärkt werden.
Bekommen Schulen mit besonders schwierigen Voraussetzungen mehr Ressourcen, sorge das für bessere Schulleistungen insbesondere bei benachteiligten Schülern und für mehr Wohlbefinden am Standort, fasste Philipp Schnell vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) bisherige Erfahrungen zusammen. Gleichzeitig sinke die Zahl der Risikoschüler und frühen Schulabgänger. Die Einführung eines Chancenindex würde sich seinen Berechnungen zufolge auch ökonomisch rechnen, weil für die öffentliche Hand weniger Kosten für frühe Schulabgänger anfallen.
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