Noch bis Ende 2027 gilt das neunte, in seiner siebenjährigen Laufzeit mit rund 100 Mrd. Euro ausgestattete EU-Forschungsrahmenprogramm - ein zentraler Wegweiser für Forschungs- und Innovationsförderung in Europa. Für das Nachfolgeprogramm "FP 10" (2028-2034) sollten 220 Mrd. Euro veranschlagt werden, heißt es seitens der im Vorjahr eingesetzten Expertengruppe, die am Mittwochnachmittag in Brüssel ihre Empfehlungen präsentierte.
Es brauche diese deutliche Budgetsteigerung, um "eine verstärkte, gezielte und zweckgebundene Finanzierung über das gesamte Spektrum" von Forschung, Entwicklung und Innovation zu gewährleisten, heißt es in dem Bericht. Diese sei auch besonders im Hinblick auf niedrige Bewilligungsquoten von Forschungsvorhaben notwendig, wie Heinz Faßmann, Präsident der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und als Mitglied der Expertengruppe an der vorgelegten Evaluierung des derzeitigen Rahmenprogramms maßgeblich beteiligt, gegenüber der APA sagte.
Zwölf Empfehlungen im "Heitor-Bericht"
Der "Heitor-Bericht", benannt nach dem Leiter des 15-köpfigen Gremiums, dem portugiesischen Ex-Wissenschaftsminister Manuel Heitor, umfasst zwölf Empfehlungen, wie ein Programm nach Ablauf des "FP9" - besser bekannt als "Horizon Europe" - aussehen sollte. Während letzteres noch auf drei eher wenig durchlässigen Säulen basiert - exzellente Wissenschaft, industrielle Wettbewerbsfähigkeit sowie "Innovatives Europa" -, empfehlen die Experten künftig die Ordnung in vier Sphären, die sich gegenseitig unterstützen.
Die erste Sphäre umfasst abermals "wissenschaftliche Exzellenz" und sieht hier künftig neben dem Europäischen Forschungsrat "ERC" auch den Europäischen Innovationsrat "EIC" und seine Initiativen, Forschungsergebnisse etwa in Start-ups und Unternehmen zu überführen, beheimatet. Beide Räte hätten sich sehr bewährt und würden entlang ähnlicher Mechanismen arbeiten, so Faßmann. Die geforderte Budgetverdoppelung müsse aber auch gerade hier ansetzen: Mit einer Genehmigungsquote von 14 Prozent beim ERC und bei 4 Prozent beim EIC seien die Genehmigungsquoten frustrierend gering - "hier produziert man zu viele leere Kilometer, hier muss man mehr tun".
Eine zweite Sphäre sollte laut den Experten die industrielle Forschung abdecken und mit der Schaffung einer neuen Einrichtung, einem dem ERC nachempfundenen "Europäischen Rat für Technologie und industrielle Wettbewerbsfähigkeit", auch für eine "Entpolitisierung" dieses Bereiches sorgen. Themensetzungen seien bisher oft zu "top-down" angelegt und stark kommissionsgetrieben, so Faßmann. Hier könne ein unabhängiger Rat Abhilfe schaffen und für mehr Transparenz sorgen. Diese Sphäre repräsentiere zudem ein klares Bekenntnis, dass man mit Industrieforschung zu einer besseren Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber den USA oder China beitragen wolle.
In einer dritten Sphäre sollten sich gesellschaftliche Herausforderungen wiederfinden, etwa politikunterstützende Forschung zur Alterung der Gesellschaft, Klimawandel, Migration und Asylpolitik etc. "Wenn wir hier zulassen, dass die EU nicht die Forschung aktiviert, um politische Optionen aufzuzeigen, dann hat man vieles verloren", sagte Faßmann. Es gehe um die Bereitstellung einer soliden wissenschaftlichen Basis für politische Entscheidungen.
Reformen im europäischen F&E-Ökosystem gefordert
Die vierte Sphäre betrifft das F&E-Ökosystem Europas, "also z.B. das Zusammenspiel der EU-Mitgliedsstaaten, die Verteilung von Forschungsinfrastruktur, aber auch Netzwerke und Kooperationen von Universitäten", so der ÖAW-Präsident. Hier gehe es vor allem darum, die Mitgliedsstaaten stärker zu verpflichten, Reformen durchzuführen und mehr zu investieren: "Derzeit investieren vier EU-Mitgliedsstaaten in F&E mehr als 3 Prozent ihres BIP, sieben Länder investieren weniger als ein Prozent."
Mit dem Bericht hat die Expertengruppe ihre Arbeit abgeschlossen. Er flankiert nun über hundert weitere Stellungnahmen zur Zukunft des Forschungsrahmenprogrammes, die etwa von Mitgliedsländern und verschiedenen Einrichtungen abgegeben wurden. Wie sich nun das neue Rahmenwerk für Forschung und Innovation tatsächlich gestaltet, bleibt abzuwarten - und wird sich wohl erst im kommenden Jahr abzeichnen.
Signale, dass es in eine doch etwas andere Richtung als bisher gehen könnte, befeuerte jüngst Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Im "Mission Letter", also Weisungsschreiben, an die designierte Forschungskommissarin Ekaterina Zaharieva wurde das FP10 nicht erwähnt, wie Faßmann ausführte. In dem Schreiben wurden nur einzelne Elemente aus dem bisherigen Rahmen angeführt: "Das hat uns schon etwas stutzig gemacht."
Gerüchte um Mega-Förderungstopf
Gerüchteweise wird bereits von der Schaffung eines Mega-Förderungstopfes, der Einrichtung eines "Competitiveness Fund", gesprochen, der mehrere Programme - auch aus dem Forschungsrahmenprogramm - schlucken könnte. Laut Beobachtern könnte er als Antwort auf den kürzlich vorgestellten, eher Probleme aufzeigenden "Draghi-Bericht" zur Wettbewerbsfähigkeit Europas gelesen werden.
"Mit einer solchen Fokussierung würde ein 'Rahmenprogramm light' drohen, in dem etwa der ganze Bereich der Industrieforschung ausgelagert werden könnte", so der Ex-Wissenschaftsminister. Das könnte einem EU-Rahmenprogramm, bisher das größte Forschungsprogramm der Welt und eine "Art Trademark europäischer Forschung", die Strahlkraft und Sichtbarkeit nehmen, bedauerte er. Daher plädiere man für die Beibehaltung eines starken Forschungs-Rahmenprogrammes mit einer industrieinkludierenden Forschung, so Faßmann: "Das wäre ein besseres Signal nach außen."
Teil der Expertengruppe und Ko-Hauptautorin des Berichtes ist die schwedische Innovationsexpertin Sylvia Schwaag Serger, Mitglied im österreichischen Rat für Forschung, Wissenschaft, Innovation und Technologieentwicklung (FORWIT). "Ich sehe im Heitor-Bericht viele sinnvolle Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Rahmenprogramms", wurde Helga Nowotny, ebenfalls FORWIT-Ratsmitglied, in einer Aussendung des Beratungsgremiums zitiert. "Die forschungs- und innovationspolitischen Instrumente der EU funktionieren vergleichsweise gut", so auch FORWIT-Vorsitzender Thomas Henzinger mit Blick auf die kolportierten Veränderungen im Budget der EU, die bisherigen Instrumente dürften "bei den geplanten Reformen nicht zum Kollateralschaden werden". Wichtig sei, zeitgerecht einen klaren Weg zur Erhöhung und Sicherung der Investitionen in Forschung, Technologie und Innovation im Einklang mit den Plänen zur Förderung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit aufzuzeigen, wie es seitens der Industriellenvereinigung (IV) in einer Aussendung hieß.
Service: Bericht "Align, Act, Accelerate - Research, Technology and Innovation to boost European competitiveness": https://op.europa.eu/en/
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